Dr. Alexander Reichwein stellte in seinem Eröffnungsvortrag einige grundsätzliche Überlegungen zu Deutschlands Rolle „im Herzen von Europa“an. Deutschland als „gefesselter Gulliver“ hätte nach dem Zweiten Weltkrieg klein gehalten und an Relevanz verlieren sollen. Wenn man ihn aber entfessele, könne er in zwei Richtungen ausscheren: Entweder betreibe er eine aggressive Außenpolitik oder verwandle sich in einen verantwortungsbewussten Akteur. Die deutsche Wiedervereinigung habe in vielen Ländern Fragen solcher Art aufgeworfen. „Gulliver ist entfesselt, was passiert nun?“, fasste Reichwein die Situation zusammen. Deutschland habe seit der Wiedervereinigung unterschiedliche Phasen im Hinblick auf Europa erlebt und dabei nicht immer einen konsistenten Weg verfolgt. Langsam werde man jedoch erwachsen und sich zudem bewusst, dass man als „Verantwortungsmacht“ für Europa in der Pflicht stehe. Die ersten Schritte in Richtung EU seien auch erfolgt, um Deutschland möglichst klein zu halten. Aus diesem Europa sei nun ein Europa geworden, das von Deutschland erwarte, für europäischen Zusammenhalt zu sorgen.
General a.D. Egon Ramms griff die Metapher Reichweins in seinem Eingangsstatement auf und wies darauf hin, dass auch die NATO mitunter gegründet wurde, um Deutschland klein zu halten. Man bräuchte allerdings auch Deutschland, um die Verteidigung des westlichen Bündnisses zu bewerkstelligen und unterstrich die starke Stellung Deutschlands als zentrale Macht in Europa. So sei Deutschland beispielsweise die Landmacht zwischen den Alpen und dem Norden sowie ein Transitland, das mit einem sehr gut ausgebauten Verkehrsnetz nördlich der Alpen dienen könne. Dies sei auch als Wirtschaftsnation wichtig: „Wir müssen Rohstoffe einführen und Industrieprodukte ausführen!“, führte Ramms aus. Wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig wäre Deutschland das stärkste Land der EU und das zweitstärkste NATO-Land. „Wann übernimmt Deutschland die Macht, die Deutschland eigentlich zusteht?“, fragte er im Hinblick auf die Präsenz des Landes im Zentrum Europas.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel betonte seinerseits, dass das wiedervereinigte Deutschland ein „europäisches Deutschland“ sei. In diesem Punkt bestehe weitgehende Einigkeit. Dies sei von besonderer Relevanz, denn es wäre für die EU essenziell, dass Deutschland Verantwortung übernehme. „Wenn die Mitte schwach wird, werden die Ränder stark“ – und das sei gefährlich.
Das 1. BSH-KFIBS-Symposium schloss an eine Debatte zur „neuen deutschen Außenpolitik“ an, die nicht neu ist, aber seit der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 deutlich an Fahrt gewonnen hat. Uns freut es, dass es auch bei dieser Veranstaltung gelungen ist, Wissenschaft und Praxis zu vereinen und dadurch die gegenwärtige Debatte greifbar zu machen. Als Mittler bzw. Vermittler von Sicherheitspolitik ist es uns erneut gelungen, eine aktuelle Debatte aufzugreifen und aus verschiedenen Blickwinkeln differenziert aufzubereiten.